Teil 1: Eine Frage der Verantwortlichkeit
Schritt 1 – Voraussetzungen schaffen
Eine verlockende Version: Aus KI-gestützten Cloud-Kostenoptimierungstools gewonnene Daten liefern wichtige Erkenntnisse, die nicht nur die in die Cloud getätigten Investitionen optimieren, sondern darüber hinaus auch kurzfristige Entscheidungen und sogar langfristige Strategien eines Unternehmens – dank einer besser fundierten Datengrundlage - positiv beeinflussen.
Wie aber kann man das eigene Cloud Financial Management KI-tauglich machen? Eine Möglichkeit wäre es, das Cloud Financial Management zuerst einmal nach der FinOps-Methodik zu optimieren.
FinOps ist ein Betriebsmodell, das Systeme, Best Practices und Kultur kombiniert, um ein fundiertes Verständnis für die Cloud-Kosten eines Unternehmens zu schaffen, dieses stetig zu verbessern und so letztendlich eine Basis zu schaffen, auf der es auch wirklich Sinn macht, über KI nachzudenken. Wie genau wird FinOps umgesetzt?
FinOps: Die Umsetzung einer vollkommen neuen Kultur in der Praxis
FinOps ist eine eigene Disziplin der Zusammenarbeit, bei der alle Beteiligten mit Unterstützung einer zentralen Best-Practices-Gruppe die Verantwortung für ihre eigene Cloud-Nutzung übernehmen: FinOps fördert eine Kultur der gemeinsamen Verantwortlichkeit. Wie dem jährlichen Bericht der FinOps-Foundation, dem State of FinOps Report 2022 zu entnehmen ist, besteht die größte Herausforderung für FinOps-Verantwortliche darin, das Umfeld in ihrem Unternehmen zu überzeugen und zum Handeln zu bewegen. Geht damit jedoch nicht irgendwann auch ein Wandel der Kultur einher, wird diese Tätigkeit wahrscheinlich bis zum St-Nimmerleins-Tag eine eher unproduktive Beschäftigung bleiben. Warum?
Der Grund ist nicht, dass etwa Ingenieure oder Entwickler schlechtere Mitarbeiter sind, die gegen Neuerungen mauern, sondern eher daran, dass ihre Prioritäten oft nicht im Bereich der Kostenmessung liegen. Die FinOps-Kultur beinhaltet aber, dass alle, deren Handeln Auswirkungen auf die Cloud-Kosten hat, in diesem Zusammenhang so entscheiden, als wären sie die Geschäftsinhaber, deren Ausgaben auf vorab exakt geplanten Projekten basieren.
Wie gelangt man an dieses Ziel?
Um dies zu erreichen, muss die Unternehmensführung die Bedeutung von FinOps permanent kommunizieren, um sämtliche Mitarbeiter im gesamten Unternehmen dazu zu bewegen, ihre geschäftlichen und persönlichen Key Performance Indicators (KPIs) miteinander abzustimmen.
Das kann mühsam sein. Verantwortliche, die FinOps praktizieren, beschreiben die Praxis gerne als eine Reise, die abwechselnd im Kriechen, Gehen und Laufen (Crawl, Walk, Run) vor sich geht – sprich also manchmal recht zielstrebig von statten geht, oft aber auch sehr zäh. Warum aber ist die Überzeugungsarbeit oftmals mühsam? Weil es in der Praxis eingefahrene Verhaltensweisen, Verfahren und Prozesse gibt. Dazu ein Beispiel.
Investitionen hängen nicht unbedingt von der Summe ab
Für einen Administrator ist es in vielen Unternehmen einfacher, 10.000 Euro für die Cloud auszugeben, als 10 Euro für eine Maus. Warum?
Um eine Maus zu kaufen, muss der Admin zuerst die Erlaubnis seines Chefs einholen. Dann kauft er den Artikel und schickt die Quittung zur Genehmigung an Finance. Schließlich erhält er die ausgelegte Summe mit der Spesen-Abrechnung oder einer Gehaltsauszahlung zurück. In der Zwischenzeit kann sich dieselbe Person bei einem Cloud-Provider anmelden und Tausende von Euro ausgeben, ohne dass jemand eine einzige Frage stellt.
Der Grund ist, dass es vielen Unternehmen an einer expliziten Regelung der Einkaufsverantwortung für die Cloud fehlt. Oft wird dies sogar mit Absicht so gehandhabt, um die Vorteile der Cloud, also Geschwindigkeit, Agilität und Innovation, nicht zu schmälern. Diese Vorteile überwiegen in der Regel das Risiko von Mehrausgaben. Ingenieure und Entwickler können online gehen und kaufen, was sie für ihre Arbeit benötigen, ohne eine Genehmigung von der zentralen IT einzuholen.
Im Laufe der Zeit kann jemand aber leicht auch Zehn- oder Hunderttausende von Euro in die Cloud investieren. Wenn User in der gesamten Organisation Zugriff auf Cloud-Umgebungen haben, können die Ausgaben auf diese Weise schnell vollkommen außer Kontrolle geraten.
Helfen an dieser Stelle Optimierungsempfehlungen?
Natürlich kann man all die „Einkäufer“ bitten, vorgegebenen Optimierungsempfehlungen zu folgen, um Geld zu sparen. Dieser Umgang mit Ressourcen ist jedoch möglicherweise nicht realistisch. Ingenieure und Entwickler müssen schnell sowie innovativ sein und zudem sicherstellen, dass vor allem kundenorientierte Systeme funktionieren. Kostengünstigere Ressourcen erfüllen möglicherweise nicht ihre technischen Anforderungen oder Service Level Agreements (SLAs).
Möglicherweise findet man auch Bereiche, in denen Ingenieure und Entwickler zu viel ausgeben, um die Leistung zu verbessern, ohne dabei aber den Geschäftswert signifikant zu steigern. Beispielsweise, wenn ein Techniker die Server einer Anwendung von vier zentralen Verarbeitungseinheiten (CPUs) auf acht erhöht, damit die Geschwindigkeit verdoppelt, um so die Customer Experience zu verbessern.
Diese verbesserte Leistung ist vielleicht aber gar nicht erforderlich, wenn die Kunden mit der vorhandenen Leistung bereits zufrieden sind und sie die SLAs erfüllt: Die zusätzlichen Ressourcenkosten werden sich in diesem Falle also nicht als Business Value niederschlagen. Wie aber bringt man Vernunft und Kontrolle in das Cloud Financial Management?
Vernunft und Kontrolle im Cloud Financial Management?
Dieser Blogartikel handelt hinsichtlich Cloud Financial Management von einer „Kultur“, also - genauso wie bei der generellen Unternehmenskultur – einer als Konsens betrachteten Einstellung zu einer gemeinsamen Sache. Das Implementieren einer Kultur der Verantwortlichkeit ist auch hier das A und O: Eine Kultur der Rechenschaftspflicht, gelebt durch die einzelnen User, verleiht einem FinOps-Framework erst seine Struktur; belässt den Verantwortlichen aber die Möglichkeit, agil zu handeln und zuverlässige Services zur Verfügung zu stellen.
Diese Kultur beginnt von oben nach unten. Nachdem die Unterstützung der Führungsebene gewonnen wurde, muss im nächsten Schritt eine Kommunikationsstrategie aufgebaut werden, die bei allen Beteiligten kontinuierlich Bewusstsein für die Herausforderung „Cloud-Kosten“ schafft.
Mittel der Kommunikation
Als probates Mittel dieser Kommunikation mit dem Ziel der Förderung der Verantwortung haben sich tatsächlich Chargebacks und Showbacks erwiesen. Mit Chargebacks etwa werden Business Units oder Entwicklungsteams ihre Cloud-Käufe in Rechnung gestellt. Auf diese Weise wird für alle anderen sichtbar, wie viel eine Unit kauft und ob die erworbenen Cloud-Services dort auch tatsächlich genutzt werden.
Oft wehren sich Mitarbeiter gegen ein Chargeback-Modell, da sie glauben, dass die Zeit, die für die Analyse der Kosten aufgewendet wird, ihre Arbeit verlangsamt. Chargebacks werden jedoch mittelfristig sicher zu einer breiteren Unterstützung der Führung und entsprechenden KPI-Anpassung führen:
Eine neue Form des Verantwortungsgefühls wird immer mehr Teams erkennen lassen, dass Geschwindigkeit zwar oft entscheidend ist, aber auch Kosten und Verschwendung berücksichtigt werden müssen. Die Balance zwischen Governance und Agilität wird auf lange Sicht allen helfen, ihre Geschäftsziele auf verantwortliche Weise zu erreichen, ohne dass Geschwindigkeit oder Innovation zu kurz kommen.
In ähnlicher Weise ermöglicht es ein Showback-Modell den Business Units zu bewerten, wie viel sie in der Cloud ausgeben. Sie können hier ihre spezifischen Kosten und Ausgaben für das gesamte Unternehmen, wie etwa die für Netzwerke oder Speicher, überprüfen.
Ein interessanter Effekt: Showbacks zeigen die Ausgaben einzelner Geschäftsbereiche der gesamten Organisation. Wenn eine Gruppe 50 % weniger Kostenoptimierung realisiert als jedes andere Team, könnten ihre Showbacks sie dazu motivieren, Änderungen vorzunehmen.
Tagging der Cloud-Ressourcen
Auch das Kennzeichnen (Tagging) aller Cloud-Ressourcen hilft einem FinOps-Team festzustellen, wer für welche Ausgaben verantwortlich ist. Durch das Zuweisen von Tags können Sie Workloads, Geschäftseinheiten oder Anwendungen schnell und einfach anzeigen oder verbuchen. Tagging ist für jede FinOps-Praxis von entscheidender Bedeutung und ermöglicht es, Budgets zuzuweisen, zukünftige Cloud-Ausgaben zu prognostizieren und damit die besagte Kultur der Verantwortlichkeit zu schaffen und zu festigen.
Festlegen von FinOps-KPIs zur Förderung der Verantwortlichkeit
Eine Kultur der Verantwortlichkeit erfordert auch, dass FinOps-Teams klare KPIs für verschiedene Benutzergruppen festlegen. Diese KPIs können je nach den Zielen der einzelnen Teams variieren. Einige Gruppen konzentrieren sich möglicherweise auf Geschwindigkeit, während andere Innovation oder Leistung priorisieren. Bei der Auswahl von KPIs kann man die bekannte Methodik des Eisernen Dreiecks nutzen, mit der in Unternehmen in der Regel viele im Projektmanagement tätige Mitarbeiter vertraut sind.
Bei der Priorisierung von Migrationen oder der Entwicklung neuer Anwendungen ist zu berücksichtigen, wie sich ein Teil des Eisernen Dreiecks auf alles andere auswirkt. Wird eine höhere Qualität gewünscht, ist das teurer. Ist Geschwindigkeit das Ziel, muss man in der Regel auf Qualität verzichten.
Kosteneinsparungen können sich bei unsachgemäßer Ausführung negativ auf Qualität und Geschwindigkeit auswirken. Ein kostenorientierter Ansatz kann dazu führen, dass sich Teams in den Details verlieren, anstatt das Gesamtbild zu betrachten.
Von der Unternehmensführung klar definierte Prioritäten zu erhalten, wird hier helfen, einen klaren Fokus zu finden: Soll das alte On-Premises Rechenzentrum innerhalb einer bestimmten Frist aufgegeben werden, liegt der Fokus möglicherweise zunächst auf Geschwindigkeit und nicht auf Kosten. Die Ziele und KPIs für einzelne Teams stimmen mit dieser Deadline überein. Im nächsten Quartal werden es dann möglicherweise neue KPIs sein, die sich eher auf die Kosten konzentrieren.
Die Nutzung des Eisernen Dreiecks zeigt allen, worauf sie ihre Bemühungen konzentrieren müssen. Wichtig aber ist, dass so ein Bewusstsein für das Zusammenspiel der Notwendigkeiten und damit der Kosten entsteht – dieses Bewusstsein ist die Grundvoraussetzung für eine Kultur der Verantwortlichkeit.